Die Mur: Kajakfahrt auf dem Amazonas von Europa
Als Naturliebhaber und Schützer der Mur habe ich gleich verstanden, warum die Mur der Amazonas von Europa genannt wird. In ihrer ganzen Breite habe ich die Bedeutung dieser Namensgebung aber erst verstanden, nachdem wir eine viertägige 136 km langen Kajakfahrt auf diesem Fluss unternommen haben. Die Reise begann in Sladki Vrh in Slowenien und endete in Legrad in der kroatischen Gespanschaft Podravina.
Text: BORIS BEZJAK Übersetzung: Reinhard Padinger
Ich bin selbst oft mit dem Kajak oder dem Kanu auf der Mur unterwegs. Gewöhnlich rudere ich von Ceršak bis nach Gibina in Veržej oder auch über kürzere Entfernungen. Ich weiss, dass die Mur einen 1.100 km langen Abschnitt eines nicht unterbrochenen Schifffahrtswegs darstellt, der in Ceršak beginnt und bis zum Zusammenfluss mit der Drau reicht und sich über die Donau sogar noch bis ins Schwarze Meer fortsetzt.
Erster Tag: Für den Anfang 50 km bis Gornja Bistrica
Obwohl die Mur schon ab dem letzten Staudamm in Ceršak schiffbar wäre, beginnen wir unsere Bootsfahrt erst einige Kilometer flussabwärts in Sladki Vrh. Gerade dieser erste Teil der Reise von Ceršak bis Konjišče ist in Hinblick auf eine Kajakfahrt eher anspruchsvoll und aufregend. Der Abschnitt beinhaltet nämlich sowohl zwei gemäßigte Stromschwellen als auch eine größere, bei der entsprechende Stromschnellen entstehen.
Gemeinsam mit vier Freunden mache ich mich auf den Weg.
Jeder hat sein aufblasbares Kajak und den benötigten Proviant (Verpflegung für die Reise) sowie eine Ausrüstung für die Nächtigung bei sich. Den ersten Halt legen wir schon kurze Zeit nach dem Start ein. Nach den Stromschnellen in Konjišče leeren wir das Wasser aus, das bei der Fahrt über die ersten Stromschnellen in die Kajaks gelangt ist. Für den ersten Tag nehmen wir uns vor Gornja Bistrica zu erreichen und auf dem Otok ljubezjni, übersetzt der Insel der Liebe, Station zu machen und uns mit kühlen Getränken zu stärken.
Die erste Etappe hat eine Länge von 50 km, trotzdem erreichen wir das Ziel – dank der Tatsache, dass die Mur in diesem Teil noch verhältnismäßig schnell fließt – in absehbarer Zeit.
Unser Nachtlager können wir noch bei Tageslicht aufstellen.
Zweiter Tag: Abschied von Slowenien und Bootsfahrt durch die Wildnis
Am nächsten Morgen machen wir uns schon früh auf den Weg.
Obwohl wir uns mit Sonnenschutzcreme eingeschmiert haben, hinterlässt die Fahrt vom Vortag unter der hochstehenden strahlenden Sonne auf unserer Haut sichtbare Folgen. Das erste Ziel des zweiten Tages ist Gibina, der Ort, an dem die Mur zum Grenzfluss zwischen Slowenien und Kroatien wird. In Gibina hat man gerade für derartige Abenteuer ein ausgezeichneter Stützpunkt errichtet, wo man mühelos die Boote aus dem Wasser ziehen und im Freien übernachten kann.
Hier nehmen wir Abschied von Slowenien.
Auf die Kroatische Seite
Wir setzen unseren Weg nach Mursko Središče fort. Bei der Murmühle in Sv. Martin halten wir kurz an, um uns die biotische Vielfalt, die die Mur hier zeigt, etwas genauer anzusehen. Wir ziehen die Boote aus dem Wasser und beobachten dabei einen Stichling (Gasterosteus aculeatus), der in der Mur schon im Jahr 1996 nachgewiesen wurde und auf der roten Liste der bedrohten Arten steht.
Wir fotografieren den Stichling und lassen ihn dann natürlich wieder unversehrt davon schwimmen.
Nach einer Erfrischung machen wir uns auf den Weg nach Mursko Središče, wo wir bei der slowenischen und der kroatischen Polizei die Grenzkontrollen über uns ergehen lassen.
Für die Schifffahrt auf der Mur benötigt man eine Genehmigung der Behörde in Murska Sobota. Diese Genehmigung wird dort auch bei den kroatischen Kollegen erwirkt, natürlich sind dabei Vorgaben in Bezug auf Schwimmwesten einzuhalten. In Mursko Središče hat man eine ausgezeichnete Infrastruktur zur Unterstützung von Bootsfahrten auf der Mur eingerichtet. Man kann die Boote mühelos aus dem Wasser aufs Trockene ziehen; bis zu einem Geschäft, wo man sich mit den nötigen Dingen versorgen kann, sind es nur ein paar Schritte.
Mit den abgefertigten Dokumenten und aufgefüllten Vorräten begeben wir uns auf die Weiterreise in den wildesten, natürlich erhaltenen und unbewohnten Teil des Weges. Die Natur, die sich nach jedem Mäander erneut auftut, ist wahrlich atemberaubend.
Natur in all ihrer Urtümlichkeit
Hunderte von Baumstämmen, die sich in der Mitte des Flusses aus dem Strom erheben, in die Strömungsrichtung geneigt, vibrieren im Rhythmus der Wellen, noch besser könnte ich das wohl mit dem Roman Ljudstvo Lunja (Das Volk der Weihe) von Vlado Žabot beschreiben, der in diesem Werk die Geschichte altansässiger Volksstämme an der Mur beschreibt. Die Tierwelt bietet hier einen völlig anderen Anblick, als wir es in unseren Regionen (am Grenzfluss zu Österreich) gewohnt sind.
Hoch über uns kreist ein Seeadler, der mit seiner Größe und Gewaltigkeit noch den letzten Umweltskeptiker überzeugt. Alle paar Kilometer treffen wir einen Biber. Die Spuren der Biber auf ihren Wegen aus dem Fluss auf die Uferböschungen sind auf jedem Meter des Ufergestades zu sehen. Die abgenagten Stäbe liegen überall herum und zeugen von ihren Mahlzeiten.
Die Mur beginnt hier außerordentlich mäandrisch zu werden, damit beruhigt sich der Wasserlauf, was man auch beim Rudern schon nach einigen Stunden gut bemerkt.
Bei jedem Krümmungsmaximum des Flusslaufs sind zusätzliche Ruderschläge nötig, um zu verhindern, dass man ans Ufer getrieben wird. Die zunächst erwartete mühelose Treibfahrt die Mur flussabwärts wird zur intensiven Rudertätigkeit, was natürlich seinen zusätzlichen Reiz mit sich bringt. Am zweiten Tag rudern wir dem Ziel insgesamt 28 km näher, stellen das Lager auf und braten uns – wie es sich für ein derartiges Abenteuer gehört – einen (gekauften) Hasen und frisches Brot. Schließlich lassen wir uns in die Zauber der Wildnis und der nächtlichen Ruhe unter den Sternen hineinsinken… Bei der Bootsfahrt muss man aus Sicherheitsgründen besonders auf niedrigwachsende Bäume achten, die ihre Kronen dicht über der Wasserfläche ausbreiten und damit eine große Gefahr darstellen.
Dritter Tag: Der Zauber der Naturschönheiten auf allen Seiten
Am dritten Tag erleben wir die Mur, wie sie ihre Windungen und Mäander noch weiter steigert. Wieder ist es notwendig die Ruder zu betätigen und das Boot ständig in die richtige Richtung zu lenken, im Flussbett zeigen sich nämlich immer mehr überflutete Stämme, die für die Boote gefährlich werden können. Bewölktes Wetter erwartet uns, was für eine Bootsfahrt wesentlich günstiger ist. Die Landschaft, die die Mur in ihrem Unterlauf geformt hat, zeugt von der Wirkung der Naturgewalten und dem Ausbleiben menschlicher Eingriffe. Es ist offensichtlich, dass sich die Mur hier ihren Lauf selbst wählt und diesen auch bei jedem Hochwasser verändert.
An den Uferböschungen sind an den erodierten Hängen Hunderte von einheimischen Vögeln zu sehen. Auf einem einsamen Baumstamm sitzt ein schwarzer Reiher. Eine Hirschkuh spaziert am Ufer entlang. Von den Naturschönheiten gebannt vergesse ich schnell, das Boot zu lenken.
Am Horizont zeigen sich Anzeichen eines Schlechtwetters, aus diesem Grund suchen wir uns bis zum Abend einen Nächtigungsplatz am kroatischen Flussufer. Im Wald finden wir einen Holzschuppen, von dem wir uns erhoffen, dass er uns vor dem sich nähernden Gewitter schützt. In der Nacht wütet das Unwetter in solchem Ausmaß, dass Bäume umgeknickt werden. Auf der Hut vor dem Gewitter verbringen wir diese Nacht nahezu ohne Schlaf.
Vierter Tag: Letzte Etappe bis zur Mündung der Mur in die Drau
Am nächsten Morgen begeben wir uns ermüdet vom Kampf gegen die Naturkräfte auf den letzten, 33 km langen Abschnitt bis nach Legrad in Kroatien, wo die Mur in die Drau mündet. Zum Abschluss unserer Reise stellen uns die Mur und das Wetter noch einmal vor besondere Herausforderungen.
Die Fließgeschwindigkeit des Flusses verlangsamt sich, die Bootsfahrt wird zusätzlich durch einen flussaufwärts wehenden Wind erschwert, der uns mit so starken Böen erfasst, dass wir ohne zu rudern nicht von der Stelle gekommen wären.
Die Etappe des letzten Tages ändert sich bezüglich der Bewegtheit des Flusslaufs nicht. Der Fluss ist wesentlich schmaler und tiefer als im mittleren Abschnitt, sein Ufer auf der kroatischen Seite ist wiederum befestigt. Auf der ungarischen Seite können wir über viele Kilometer beobachten, wie die Leute mit dem Daubel (einem gespannten Netz an einer Hebestange) fischen. Diese Fischfangmethode gehört sicher zum Kulturerbe der Mur, ist aber in der heutigen Zeit nicht mehr zweckmäßig. Vor der Mündung der Mur in die Drau zeigt sich über uns noch einmal ein Seeadler, ein Greifvogel mit bis zu 2,4 Metern Flügelspannweite, und winkt uns symbolisch zum Abschied zu.